HvO Balderschwang: Ein Macher verlässt den Ort
Günter Klamert hat vor 33 Jahren in Balderschwang das Ersthelfersystem etabliert. Er ist das, was man einen Macher nennt. Der sympathische 66-Jährige hat sich immer schon weit über das gängige Maß hinaus für seine Mitmenschen und die Allgemeinheit engagiert. In seinem langjährigen Wohnort Balderschwang etablierte der gebürtige Oberstaufner vor 33 Jahren aus Eigeninitiative heraus (und später unter dem Dach der BRK-Bereitschaften im Oberallgäu) ein Ersthelfersystem, dem zahlreiche Menschen ihr Leben zu verdanken haben.
Ende Juni verließ Klamert sein Balderschwang und übergab das Amt des HvO-Leiters (HvO = Helfer vor Ort) an Anna Vögel. Zur Verabschiedung kamen auch die Leitungskräfte der Bereitschaft Sonthofen, der die HvO-Gruppe angegliedert ist.
„Ich kam 1985 zur Sanitätskolonne des BRK Sonthofen“, erzählt Günter Klamert. „Dort absolvierte ich mehrere Ausbildungen bis hin zum Rettungsdiensthelfer und fuhr mit Leidenschaft Rettungsdienst.“ Wohnhaft war der junge Mann im rund 23 Kilometer entfernten Bergdorf Balderschwang. Dort arbeitete er zunächst hauptberuflich beim Zoll, später als Leiter eines kirchlichen Schullandheims. „Balderschwang ist ja, wie man hier sagt, `ziemlich weg vom Schuss´“, gibt er zu. „Wenn es dort damals zu einem medizinischen Notfall kam, musste man schon eine ganze Weile warten, bis der Rettungsdienst aus Sonthofen, Oberstdorf oder dem fast 30 km entfernten Oberstaufen da sein konnte“; erinnert er sich. „Die Rettungsdienstfahrzeuge waren damals sehr untermotorisiert und taten sich auf dem alten, steilen, 14 Kilometer langen Bergpass, der stellenweise 16 Prozent Steigung aufwies, schwer. Da schnaufte man mit Tempo 30 den Berg hinauf. Im Winter war es noch schlimmer. 35 Minuten Anfahrtszeit waren üblich und der Rettungshubschrauber war damals noch nicht so etabliert“, erklärt er kopfschüttelnd. Im Vergleich dazu sei die heutige Riedbergpassstraße eine regelrechte Autobahn.
Aufgrund dieser Umstände habe er sich damals überlegt, „dass man doch etwas machen müsse“, um das sogenannte therapiefreie Intervall bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes zu überbrücken. „Man darf nicht erwarten, dass immer die anderen was tun. Durch meine Ausbildung und meine Erfahrung im Rettungsdienst war ich in der Lage dazu - also habe ich es halt gemacht“, meint er lakonisch.
So kam es, dass sich der damals 33-Jährige im Jahr 1987 daran machte, zunächst auf Eigeninitiative einen Ersthelferdienst für Balderschwang ins Leben zu rufen. „In der ersten Zeit war ich da oben allein auf weiter Flur“, schildert er die Anfänge. „Da fuhr ich mit meinem eigenen Auto mit Minimalausrüstung zu den Leuten, quasi mit einem besseren Verbandskasten. Später schafften die Gemeinde und die Ortsvereine für mich einen Notfallkoffer ohne Medikamente, aber mit Sauerstoff und Defibrillator für Basismaßnahmen an. Ein paar Leute an der Leitstelle haben mich bei Notfällen hier im Ort oder in der nächsten Umgebung immer mitalarmiert. Zudem habe ich im Dorf publik gemacht, dass man mir im medizinischen Notfall zusätzlich Bescheid geben kann. Heute wäre so etwas überhaupt nicht mehr möglich“, gibt er schmunzelnd zu.
Das Prinzip des inzwischen fest etablierten `Helfer vor Ort´- oder First Responder-Dienstes, bei dem im Fall von zu erwartenden längeren Anfahrtszeiten des Rettungsdienstes speziell ausgebildete ehrenamtliche Retter aus der näheren Umgebung schon an den Einsatzort vorausfahren, habe es seines Wissens damals noch nirgends in Süddeutschland gegeben. Glücklicher Weise fiel diese Idee beim Roten Kreuz auf fruchtbaren Boden, sodass der Dienst ab 1990/91 unter dessen Dach lief.
Nach einiger Zeit hätten sich dann einige Kollegen aus der Freiwilligen Feuerwehr Balderschwang gefunden, die beim Notfalldienst mitmachen wollten und sich bei Klamert – er ist zugleich Erste-Hilfe-Ausbilder - und beim BRK in Sonthofen entsprechend ausbilden ließen. Im Lauf der Zeit wurden es immer mehr. Heute sind elf Balderschwangerinnen und Balderschwanger ehrenamtlich als Helfer in dem 250-Seelen-Ort im Einsatz. Größtenteils würden die Einsätze Urlaubern und Gästen gelten. Viele Reanimationen habe es gegeben, Kindernotfälle wie Erstickungen, Auto- und Motorradunfälle und dergleichen. Einmal habe ein Mitbürger die Beine in die Schneefräse bekommen, erinnert er sich an einen schlimmen Fall.
Im Jahr 2009 gab Günter Klamert seine Mitwirkung im Rettungsdienst Sonthofen aus persönlichen Gründen auf. Dem HvO blieb er bis vor kurzem treu. Im Juni 2020 ging der zweifache Familienvater nun in Rente und zog gemeinsam mit seiner Ehefrau nach 45 Jahren in `seinem´ liebgewonnen Bergdorf nach Lauben, nördlich von Kempten. Sämtliche Balderschwanger Ortsvereine und die Pfarrgemeinde - Klamert war in allen aktiv, zumeist sogar in der Vorstandschaft – sowie die Gemeindeverwaltung organisierten ihm eine überaus herzliche und ehrenvolle Verabschiedung mit Festgottesdienst, einem Zug ins Gemeindehaus mit Fahnenabordnungen, einem Beifall-Spalier und einem (den Corona-Einschränkungen gemäßen) festlichen Empfang mit würdigenden und von Dankbarkeit und freundschaftlichen Gefühlen geprägten Ansprachen. Bürgermeister Konrad Kienle betonte in seiner Laudatio, wie wichtig es sei, „dass es Menschen gibt, die mehr tun als man muss“ und bedauerte, „dass mit Günter Klamert, dessen Krönung seines Wirkens die Etablierung des nicht mehr wegzudenkenden HvO war, leider eine Institution Balderschwang verlässt“.
Matthias Straub, der Kreisbereitschaftsleiter des BRK Oberallgäu, der mit weiteren BRK-Kollegen eigens zu der Verabschiedung gekommen war, findet: „Das Besondere beim HvO Balderschwang ist, dass sich hier die Einsatzkräfte aus den BRK-Bereitschaften, der BRK-Bergwacht und der Feuerwehr Balderschwang gemeinsam für die Notfallhilfe für Einheimische und Gäste einsetzen. Dass dies über so viele Jahre gelungen ist, ist zu einem großen Teil Günter zu verdanken.“
Der derart Belobigte selbst erinnert sich mit einer gewissen Rührung an den Abschied. Der Tag sei überwältigend gewesen, sagt er. Dennoch sei die Entscheidung angesichts des steigenden Alters und einiger gesundheitlicher Probleme richtig. „Ich war immer gern für die Leute da. Aber irgendwann muss man so etwas in andere Hände geben.“ Bei seiner Nachfolgerin Anna-Maria Vögel sei der HvO-Dienst jedenfalls in besten Händen. Glücklich sei er darüber, dass seine Saat aufgegangen ist und vielerorts Nachahmung gefunden habe.
Helfer vor Ort (HvO) kommen immer dann zum Einsatz, wenn die ehrenamtlichen Helfer den Ort eines Notfalls schneller erreichen können als der Rettungsdienst oder aber wenn das nächste Rettungsfahrzeug noch im Einsatz ist. Die Ehrenamtlichen übernehmen die Versorgung des Patienten, bis der Rettungsdienst eintrifft. Sie führen lebenserhaltende Sofortmaßnahmen wie die Herz-Lungen-Wiederbelebung durch und betreuen die Patienten.